Pforzheim braucht den urbanen Aufbruch – jetzt!

ALBERT ESSLINGER-KIEFER | PFORZHEIM

Es ist mitunter faszinierend zu erleben, wie sich Städte regenerieren. Es sind deshalb Nachrichten wie nebenstehende – eingesammelt aus der „Stuttgarter Zeitung“ – die Besorgnis erregen, wenn man den Blick auf die innerstädtische Szenerie Pforzheims wirft. Man erinnert sich: Eher humorvoll-kabarettistisch die Einlassungen des Stadtmarketing-Experten Christian Klotz, der den Pforzheimer Strategen schon vor drei Jahren eine kritische Analyse ihrer Innenstadt präsentierte: „Warum machen Sie eine Fußgängerzone in einer Straße, in die keiner gehen will?“ Auch meinte er, „dass sich eine Region, die so viel Geld hat, mehr leisten kann als graue Fassaden und billiges Neonlicht“.

In der Diskussion um die Aufwertung der Innenstadt sind Jahrzehnte verstrichen. Verbesserung der Aufenthaltsqualität, urbanes Lebensgefühl, Plätze zum Wohlfühlen? Fehlanzeige! Der Leopoldplatz – ein Platz, der diesen Namen nicht verdient. Der Markplatz – an neun Monaten des Jahres eine triste Erscheinung. Die Fußgängerzone – eine harmlose Veranstaltung, in der die letzten inhabergeführten Fachgeschäfte um ihre Existenz ringen.

Oberbürgermeister Gert Hager ist sich der Problematik bewusst: „Unsere Bürger haben Sehnsucht nach einer vitalen Innenstadt.“ Er weiß, dass die Einkaufsstadt Pforzheim im Wettbewerb mit sehr selbstbewussten Städten und Gemeinden steht, die unter einander kräftig rivalisieren. Und er weiß, dass es der Handel ist, der das Gesicht einer Stadt prägt.

Energisch hat Gert Hager deshalb ein Projekt vorangetrieben, das mit dem Titel „City Ost“ nur unzureichend beschrieben ist. Hochkarätige Stadtplaner haben sich den Kopf darüber zerbrochen, wie Pforzheims Innenstadt neu aufgestellt werden kann. Darüber wurde in dieser Zeitung umfangreich berichtet.

„Sind auf der Zielgeraden“

„Das sind keine Pläne für die Schublade. Sie sind geeignet, Pforzheim so gestalten zu können, dass unsere Stadt eine gute Zukunft hat.“ Nach diesen Worten des Stadtoberhaupts gingen verschiedene Akteure daran, den „großen Wurf“ zu entwickeln. Gut vorangekommen ist man offenbar mit diskret geführten Verhandlungen mit den knapp 40 Immobilien-Eignern unterm Schloßberg. Gert Hager: „Wir sind auf der Zielgeraden.“

Parallel wurden intensive Gespräche mit Projektentwicklern und institutionellen Anlegern geführt; für sie ist Pforzheim – vor Jahren noch undenkbar – eine Zielregion geworden, weil hier die Investitions-Bedingungen gut sind und B-Standorte wie Pforzheim meist über ein höheres Rendite-Potenzial verfügen.

Ein Augenmerk gilt auch der Optimierung der Verkehrsströme mit den zentralen Fragen: Kann man die Schloßberg-Auffahrt zu machen oder nicht? Ergebnis der Analyse: Man kann. Taugt die Zerrennerstraße als Flaniermeile mit Hinwendung zur Flusslandschaft? Kann man das in die Jahre gekommene Technische Rathaus – ohnehin in keiner Weise umnutzbar – abreißen und Platz für Neues schaffen? Diese und andere waren die vorbereitenden Überlegungen zur Gestaltung der „neuen Stadt“.

Gemeinderat vor Jahrhundert-Entscheidung

Am 6. Februar nun werden diese Überlegungen dem Gemeinderat vorgelegt. Er wird dann ein Thema von großer Tragweite zu behandeln haben. Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als Pforzheim zukunftsfähig zu machen. Denn es ist ganz offensichtlich, wie sich in wenigen Jahren unsere Handelslandschaft verändert, und wenn wir durch unsere Stadt gehen, können wir die Augen vor dem Niedergang nicht verschließen. Die Erwartungshaltung der Bevölkerung ist hoch. Jetzt geht es darum, konkret zu werden – nach ausuferndem Masterplan, intensivem Brainstorming und informativen Reisen unter dem Motto „Mal-schauen-was-die- anderen-machen“.

Fußgängerzone in die Jahre gekommen

Dabei macht es wenig Sinn, über Planungsfehler in der Fußgängerzone zu räsonieren. 60 Jahre nach Gestaltung der ersten Fußgängerzone Deutschlands in Kassel macht man überall die Feststellung, die räumliche Trennung von Wohnen, Verkehr und Einkaufen sei zu einem Problem geworden. Stadtplaner sind sich mittlerweile einig, dass diese strikte Abgrenzung ein Fehler war.

Wohnten in Pforzheims Innenstadt einst 13 000 Menschen, so sind es jetzt gerade noch 1500. Innerstädtische Hausbesitzer machen allerdings die überraschende Feststellung, dass junge Familien gerne wieder in der Stadt wohnen. Dieser Intention entspricht das Projekt „City Ost“ in besonderer Weise, soll hier doch ein kleines, feines Quartier entstehen, in dem es an Wohnungen nicht fehlen wird.

City-Händler sorgen sich aber bereits: „City Ost, das ist eine Entwicklung am falschen Ort.“ Karsten Jung vom gleichnamigen Modehaus hat wie viele seiner Kollegen die Befürchtung, am äußeren Ende der Fußgängerzone – zwischen C&A und Schloßberg-Auffahrt – werde ein städtebauliches Feuerwerk abgebrannt, während der Rest in gewohnter Tristesse verharrt. Dem widerspricht das Stadtoberhaupt: Begrünung, Beleuchtung, Möblierung und Gestaltung lauten die Stichworte für das Upgrading der ganzen Fußgängerzone.

Ohne Filialisten geht es nicht

„Die Fußgängerzone in München ist eine Goldgrube für Geschäfte. Doch der Wettbewerb wird härter und drängt alteingesessene Einzelhändler zunehmend ins Abseits.“ Was der „Münchner Merkur“ aus der Lifestyle-Metropole berichtet, findet auch in Pforzheim seine Fortsetzung – wenngleich unter deutlich anderen Kriterien. Während Filialisten in Münchens Kaufingerstraße mit Mietpreisen bis zu 365 Euro pro Quadratmeter konfrontiert werden, gelten in Pforzheims 1a-Lage Mietpreise von 30 bis 40 Euro schon als Spitzenwert. In unserer kleinteiligen Ladenwelt verharrt man auf dem Stand der 1980er-Jahre.

Aber auch für Pforzheim gilt: Die Innenstadt wird sich weiter verändern. „Ketten gehören zu einer guten Fußgängerzone“, davon ist man bei Lührmann überzeugt. Das Immobilien-Unternehmen ist einer der deutschlandweit führenden Spezialisten für die Vermietung und Projektentwicklung von Ladenlokalen und Einzelhandelsimmobilien. Gerade hat man den Filialisierungsgrad in den Großstädten untersucht: Mit 74 Prozent Ketten-Anteil herrscht die größte Monotonie in Dortmund, für Pforzheim nennt die Cima, ein auch in der Goldstadt tätiges Beratungsunternehmen für City-Management und Stadtentwicklung, einen Wert von 37 Prozent, der in Wirklichkeit aber deutlich höher sein dürfte. Tendenz ohnehin steigend.

Pforzheimer keine Armenhäusler

Bliebe noch die Kaufkraft. Jenseits der Shoppingmeilen ist sie auch in Pforzheim ein ernsthaft zu hinterfragendes Kriterium. Wo soll sie herkommen, die Kaufkraft, in einer Stadt mit einer ausgeprägt schwierigen Sozialstruktur, der höchsten Arbeitslosigkeit im Südwesten und der zweithöchsten Migrationsquote in Deutschland von fast 50 Prozent? Ergänzend stellt das Statistische Landesamt fest: In Pforzheim leben die meisten Schuldner im Südwesten. Fast 13 Prozent aller über 18-jährigen Einwohner sind so verschuldet, dass sie aus eigener Kraft nicht herauskommen, weil sie weder Zinsen zahlen noch Kredite tilgen können. Dennoch: Wenn man sich die Kaufkraft-Indizes unter vergleichbaren Städten im Südwesten anschaut, macht Pforzheim eine gute Figur, im Verbund mit dem Enzkreis sogar eine sehr gute. Die Pforzheimer sind keine Armenhäusler.

Integration gelingt nur mit Anstrengung

Allerdings: Es gibt eine wachsende Zahl von Mitbürgern, die keine gesellschaftlichen Anschlüsse haben, die am sozialen und kommunalen Leben Pforzheims nicht teilnehmen, die das Theater noch nie von ihnen gesehen haben, die keine Zeitung lesen und denen es egal ist, wer sich im Rathaus um das Schicksal ihrer Stadt kümmert. Es sind oftmals Mitbürger, die unsere Toleranz im Übermaß strapazieren, weil sie Respekt von jedem verlangen, ihn aber niemandem entgegenbringen. Aber sollen sie die Maßstäbe in dieser Stadt setzen?

In der Tat dreht sich in Pforzheim alles um das Thema Integration. Sozialbürgermeisterin Monika Müller weiß: „Wir sind auf dem Weg zur interkulturellen Stadt.“ 54000 Menschen mit Migrationshintergrund leben in Pforzheim. Es braucht die Mehrheit der Bevölkerung, um hier eine gemeinsame Identität zu schaffen, Parallelgesellschaften zu verhindern, wie sie sich an der einen oder anderen Stelle schon gebildet haben. Die Amerikaner haben dazu einen interessanten Begriff gefunden: The New Normal. Die neue Normalität. Der Schwabe würde sagen „S’isch, wie’s isch!“. Wie dieser nicht einfache Integrationsprozess zu bewältigen ist? „Mit gesundem Selbstbewusstsein, Toleranz und Geduld“, sagt die Bürgermeisterin.

Stadt mit engagierten Unternehmern

Wer hier zu Pessimismus neigt, verkennt das unverändert stabile Potenzial dieser Stadt. Auch wenn sich derzeit zwei, drei potente Unternehmen verabschieden, insgesamt hat das Gewerbesteuer-Aufkommen eine erfreuliche Entwicklung genommen. Einmal mehr zeigt sich: Pforzheim verfügt über ein solides und zukunftsfähiges Unternehmertum, erfolgreiche Global Player. Mehr noch: Mit den Clustern Stanz-, Medizin- und Feinwerktechnik und einer gut aufgestellten, innovativen IT-Branche – die WLAN-freie Innenstadt lässt grüßen! – darf man optimistisch in die Zukunft blicken.

Anders als seine Vorgänger, hat es Gert Hager verstanden, Pforzheims Unternehmer – die Leistungsträger der Stadt – in seine Überlegungen einzubinden. Entstanden ist daraus ein informelles „Forum für Pforzheim“. Hier sind in einer Frühstücksrunde nicht die Bruddler versammelt, sondern Unternehmer, die sich zu ihrer Stadt bekennen und an ihrer Veränderung konstruktiv mitwirken wollen. Sie wissen: „Die meisten Ziele sind ohnehin nur zu erreichen, wenn die finanzielle Handlungsfähigkeit der Stadt hergestellt ist.“

Hinzu kommt das „gestandene“ Pforzheimer Bürgertum. Es muss sich den nicht immer nachvollziehbaren Vorwurf gefallen lassen, sich von seiner Stadt innerlich längst verabschiedet zu haben; gleichwohl ist man gerne Pforzheimer, wenn nur die innerstädtische Szenerie eine Schönere wäre – und eine gehörige Prise Lifestyle bitte obendrauf.

Vor allem aber hat Pforzheim ein enormes Kaufkraft-Potenzial vor seiner Haustür. Bevor es vollends nach Karlsruhe oder in die Groß-Stuttgarter-Einkaufswelt entschwindet, gilt es hier, entsprechende Signale ins Umland zu senden. Noch kann es ja um Pforzheim nicht so schlecht bestellt sein, wenn selbst der Standesbeamte von Baiersbronn bekundet, er fahre gerne nach Pforzheim zum Einkaufen. Und auch die innerstädtischen Magnet-Häuser – Galeria Kaufhof und C&A – rangieren im nationalen Vergleich unverändert im vorderen Drittel, registrieren aber zunehmend die Pforzheimer Malaise: „Andere Häuser entwickeln sich deutlich besser.“

Handelmuss sich neu erfinden

Der Handlungsbedarf zur Renovierung der Pforzheimer Innenstadt ist umso größer, weil der Online-Handel weiter zulegt; der digitale Generalangriff tobt mit Wachstumsraten von 15 Prozent. Braucht es dann noch zusätzliche Ladenflächen von 8000 bis 10000 Quadratmetern im neuen Quartier unterm Schloßberg? Mehr noch: Sind in kleinen Großstädten wie Pforzheim große Fußgängerzonen überhaupt noch zu „bespielen“? Von der Schlössle-Galerie (17000 Quadratmeter Verkaufsfläche) bis zum Schloßberg? Geht es nicht vielmehr darum, zu „verdichten“, um Urbanität zu erzeugen, wie es das Düsseldorfer Büro Rhode Kellermann Wawrowsky fordert?

Wenn heute schon rund 60 Prozent der Käufe, die stationär getätigt werden, online vorbereitet sind, spricht das umso mehr für die Notwendigkeit, dass sich – so ein Branchendienst – „Läden vomWarenumschlagplatz zumMarkenerlebnisort wandeln“. Der lokale Handel bedarf neuer Ladenkonzepte und einer erfolgreichen Nischenstrategie. Damit einhergehend ein anspruchsvolles Innendesign und eine rasant steigende Aufenthaltsqualität. Klartext: Der lokale Handel muss sich neu erfinden. Hat er die finanziellen Mittel dazu?

Im Übrigen gut aufgestellt

Trotz aller Schwachstellen: Optimismus ist angebracht. Gerne auch gepaart mit einer Prise Understatement, wie es die Berliner Professorin Hilde Leon anlässlich der Präsentation ihres Konzepts für die „City Ost“ zum Ausdruck brachte: „Ich finde, dass Pforzheim ganz schön ist, wenn man den ersten Schock überwunden hat.“ Wenn man die Stadt nach einigen anderen, nicht unwichtigen Kriterien auf den Prüfstand stellt, wird man sich über eine passable Infrastruktur freuen, über ein gut aufgestelltes Bildungswesen, über eine optimale medizinische Versorgung, über eine respektable Hochschule und über eine florierende Kulturlandschaft, wie sie in Städten dieser Größenordnung nur selten anzutreffen ist. Eine zum Greifen nahe Natur mit hohen Freizeitwerten kommt hinzu.

Aber es genügt offenbar nicht, von den latenten Schönheiten unserer Stadt zu reden – sie müssen den Bürgern auch nahegebracht werden. Die Pforzheimer müssen ihre Stadt neu entdecken. Dabei werden sie erkennen, dass ihr unmittelbarer Lebensraum über Attribute verfügt, die es wert sind, diese Stadt zu mögen.

Bürgersinn will gepflegt werden

Mutmachend auch die beachtenswerten Investitionen Pforzheimer Bürger, die sich gerne bedeckt halten, aber doch einen wesentlichen Beitrag zur Stadtentwicklung leisten, wenn sie viel Geld in die Hand nehmen, um mit attraktiven City-Immobilien – dem tristen Umfeld zum Trotz – und mit hochwertigen Ladengeschäften der Innenstadt eine besondere Wertigkeit verleihen und damit Maßstäbe setzen. Nicht jedem Hausbesitzer ist dieses „Upgrading“ möglich, weil die Ertragskraft zu gering und die Zukunft zu ungewiss sind. Dennoch wird auch der Handel noch einige Hausaufgaben machen und mehr Geschlossenheit zeigen müssen. Gleiches gilt für die Hausbesitzer. Mit dem Renditedenken etwas sparsamer, mit der Substanzverbesserung etwas üppiger umzugehen, das wäre für die innerstädtische Neugestaltung die richtige Denkungsart, bevor die Politik hier neue Regeln setzt. Denn auch in Baden-Württemberg denkt die Landesregierung über die Etablierung eines Business Improvement Districts nach. Mit BID-Aktivitäten werden nach angelsächsischem Muster heruntergekommene Stadtviertel auf Vordermann gebracht, innerstädtische Einkaufszonen verschönert – auf freiwilliger Basis, aber mit amtlichem „Nachdruck“. DiesemDirigismus sollte man zuvorkommen.

Mit dem Projekt „City Ost“ ist eine Änderung des Bebauungsplans verbunden, ohnehin sind viele Rathaus-Ressorts längst intensiv mit der Entwicklung der „neuen Stadt“ beschäftigt. In vier bis fünf Jahren soll die Neugestaltung der Pforzheimer City vollzogen sein. Letztendlich soll sie aber nicht nur emotionale Bindungen und ein neues Wir-Gefühl erzeugen, sondern auch die Steuerkraft der Stadt stärken. Damit Pforzheim vital und lebensfähig bleibt.

Albert Esslinger-Kiefer: „Pforzheim braucht den urbanen Aufbruch – jetzt!“, Pforzheimer Zeitung, 18.01.2014.

For more information:
Animation. So könnte Pforzheims „City Ost“ bald aussehen, PZ-news, 18.01.2014 [www.pz-news.de].