Architektur wohin? Zwischen Innovation, Rückbesinnung und Volkes Meinung

Peter Rumpf

Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt Nummer 3.
Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne wollten von den Teilnehmern wissen: „Was läuft schief, wenn heute mehr Menschen eher den Rekonstruktionen von Altstädten trauen als den innovativen Konzepten von Architekten und Planern?“

Wer heute von Morgen sein will, ist übermorgen von Gestern. An diese Mahnung des Philosophen Hermann Lübbe erinnerte der Architekturkritiker Dankwart Guratzsch zum Auftakt. Und so ähnlich könnte auch das Misstrauen angesichts der Fehlentwicklungen im Erscheinungsbild heutiger Städte seinen Ausdruck finden. Zumindest bei den Veranstaltern Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne. Sie und ihr Deutsches Institut für Stadtbaukunst an der TU Dortmund hatten zum dritten Mal Architekten, Stadtplaner, Baubürgermeister, Planungsamtsleiter, Bauhistoriker, Denkmalpfleger und Journalisten in die Düsseldorfer Rheinterrassen geladen, um Wege hin zur „Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“ (so der Titel der Konferenzreihe) zu diskutieren.

In den beiden mit Prologen, Thesen und Streitgesprächen ausgefüllten Tagen war man als Zuhörer bald versucht, inflationäre Begriffe auf die schwarze Liste zu setzen: qualitätsvoll, intelligent, zeitgemäß, modern, nachhaltig, konventionell/unkonventionell, innovativ, regional, global. Zu oft hielten sich die Diskutanten an ihnen fest, ohne zu definieren, was jeweils darunter zu verstehen wäre. Bauherren geht es da wohl nicht anders als den Zuhörern. Um Schwung in die Bude zu bekommen, hatten die Gastgeber

bei der Zusammenstellung ihrer acht Themenblöcke versucht, ausgewiesene Vertreter unterschiedlicher, möglichst gegensätzlicher Überzeugungen zum Schlagabtausch einzuladen. Das scheint aber schwieriger zu sein als gedacht. Wer begibt sich schon freiwillig in die Höhle des Löwen? Dennoch: Christoph Ingenhoven nahm die Rolle des Gottseibeiuns an und lieferte sich wie erwartet mit Hans Kollhoff einen temperamentvollen Schlagabtausch zur Frage, wer oder was unweigerlich in die Katastrophe führt: die alle technischen Innovationen nutzenden Universalarchitekten oder die zur Rückbesinnung auf überlieferte und bewährte handwerkliche Solidität mahnenden „Baumeister“.

Eine Frage der Fassade?

Für die Letzteren gehört zur Nachhaltigkeit wie zum emotionellen Wert der Architektur die Fassade. „Die Außenwand des Hauses ist die Innenwand der Stadt“, so Jürg Sulzer – auch wenn sie oder gerade weil sie, wie Fritz Neumeyer feststellte, heute beinahe zum Unwort mutiert oder zur Maskerade verkommen sei. Auf die sorgfältige Arbeit am Gesicht eines Gebäudes jedoch zu verzichten oder sich in Glas- oder Medienfassaden zu flüchten, sei für ihn, Fritz Neumeyer, die öffentliche Selbstentmündigung der Architektur. Andererseits: Die Fassade ist nicht zu trennen von ihrem Bild bzw. ihrer Abbildung. Für Ina Marie Orawiec wird das Bild im allgegenwärtigen Internet die reale Begegnung mit der Fassade verdrängen – wenn nicht schon längst geschehen – allein wegen der nach oben hin offenen Verbreitung. „Internet kann ich wegklicken, die gebaute Fassade nicht“, musste sich die junge Vertreterin einer „anderen“ Generation vom gestandenen Arno Lederer korrigieren lassen. Soviel zum Schlagabtausch.

Zum Ritual solcher Debatten unter Architekten gehört die Klage über „die Behörde“ – obwohl hier in den Rheinterrassen auch deren Vertreter saßen und meist Lobenswertes zu berichten wussten: aus Schwäbisch Gmünd, Siegen, Mülheim an der Ruhr, Stuttgart, Tübingen und Sundern. Für den Kunstgeschichtler und Archäologe Wolfgang Sonne steht fest: „Wir haben heute die umfangreichste Planungsbürokratie, die es je gab.“ Wobei verschärfend hinzukomme, wie Christoph Mäckler ergänzte, dass dort Leute säßen, die über keine entsprechende Ausbildung verfügten. Der Bauhistoriker Jan Pieper präzisierte: „Um guten Stadtraum zu erzeugen, muss der Planer die Baugeschichte kenne. Stattdessen werden immer mehr Lehrstühle für Gebäudelehre gestrichen. Ersetzt wird die Lücke dann durch Schwarmintelligenz.“ Abhilfe? Mehr Gestaltungsbeiräte, am besten externe und ausreichend honorierte. Und/oder Gestaltungssatzungen. Doch ohne ein Gestaltungsziel und „kommunikative Kompetenz“ werde die Vermittlung zwischen Politik, Bürgerschaft und Planern scheitern. Oder man stellt, wie es Vittorio Magnago Lampugnani fordert, jeder Stadt einen „obersten Architekten“ als Regisseur zur Seite. Punktum!

Hilflos im Demokratisierungsprozess

Die Realität tendiert jedoch eher in die entgegengesetzte Richtung. Demokratisierungsprozesse würden eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte werden, prophezeit der Hamburger Oberbaudirektor Jörn Walter. Damit umzugehen, besser noch, sie im positiven Sinne anzunehmen, trifft zurzeit noch auf Hilflosigkeit an zuständiger Stelle. Und bei uns Architekten und Planern? Wie gehen wir mit Volkes Meinung um, wenn zum Beispiel Rob Krier begeistert vom Ansturm der Käufer auf seine neue Biedermeierstadt bei Helmond („Holland ist Weltmeister in Demokratie!“) berichtet, oder sonntägliche Besucherscharen die neue Tutti-Frutti-Bebauung im Düsseldorfer Zollhafen stürmen? Für den Architekten Klaus Theo Brenner stellt sich die Frage anders: „Ist Architektur erst okay, wenn viele Leute hingehen? Dann können wir hier die Diskussion beenden.“ Im Gegenteil, Herr Kollege, hier beginnt sie.

from: Peter Rumpf: Architektur wohin? Zwischen Innovation, Rückbesinnung und Volkes Meinung, Bauwelt 15–16 | 2012, S. 2.

for more information: Deutsches Institut für Stadtbaukunst, TU Dortmund: Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt No. 3.