22. Februar 2011
Der Stein macht’s: In Leipzigs Zentrum werden Lücken geschlossen.
von Arnold Bartetzky
Vielfalt und Kleinteiligkeit lautet schon in den achtziger Jahren das Rezept zur Wiedergewinnung des urbanen Flairs, das Krieg und geschichtsfeindlicher Wiederaufbau den meisten Stadtzentren Deutschlands ausgetrieben haben. Doch bisher beschränkte sich der architektonische Abwechslungsreichtum meist auf Oberflächenreize an Fassaden, hinter denen sich, oft zu Großkomplexen zusammengefasst, Normbauten mit niedrigen Räumen, klaustrophobischen Treppenhäusern und knauseriger Innenausstattung verbergen. Allmählich aber wächst die Erkenntnis, dass maßstäbliche Vielfalt nur durch Rückkehr zu kleinen Parzellen zu erreichen ist, die von verschiedenen Bauherren und Architekten bebaut werden. Beispiele dafür sind aktuelle Projekte in den einstigen Altstädten Frankfurts und Berlins.
Das Modell birgt freilich das Risiko mühseliger Investorensuche – zu dem den meisten Städten der Mut fehlt. Einen Kompromiss erprobte Leipzig mit dem unlängst fertiggestellten, in der Nahe des historischen Markts gelegenen Ensembles Katharinum.
Auf dem winkelförmigen Baufeld neben dem Museum der Bildenden Künste errichtete der Projektentwickler Kondor Wessels vier teils separate, teils durch ein gemeinsames Treppenhaus verbundene Geschäfts-, Büro- und Wohnhäuser, für die angesehene Architekturbüros unterschiedliche Fassaden entwarfen.
Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie, im Kontrast zum wuchtigen Glaskubus des Museums, klassische Gliederungselemente variieren und auf die sinnlichen Qualitäten des Baumaterials Stein setzen. Trotzdem könnte das gestalterische Spektrum kaum breiter sein: Die vom Berliner Architekten Christoph Kohl (Büro Krier-Kohl) gestalteten Fassaden des Kopfbaus an der Katharinenstraße zeigen einen Neohistorismus, der noch vor wenigen Jahren den Gralshütern der Moderne Zornesröte in die Gesichter getrieben hätte, nun aber zunehmend gelassen als Spielart städtischer Gegenwartsarchitektur akzeptiert wird. Zu Recht: Die Gesimse, Lisenen und konsolgestützten Balkonerker verlebendigen den Baukörper ohne Kitschgefahr. Massivität und sorgfältige Bearbeitung der dominanten Muschelkalkplatten sorgen dafür, dass die Fassadenverkleidung nicht einer Steintapete gleicht. Ein deutliches Bekenntnis zur Tradition, keck und sinnreich zugleich, sind die kannelierten Postamente beiderseits des Eingangs zur Leipziger Touristeninformation. Auf ihnen sollen bald in den dreißiger Jahren entstandene Kopien barocker Skulpturen aufgestellt werden. Sie kehren damit mehr als sechzig Jahre nach den Kriegszerstörungen in die Nähe ihres alten Standorts zurück. […]
Mehrere Knicke in den Baufluchten, die den historischen Grundstücksgrenzen folgen, verstärken die kleinteilige Wirkung des Ensembles. Das Innere aller Häuser wurde aber zwecks Wirtschaftlichkeit einheitlich geplant. Der dafür zuständige Gregor Fuchshuber konnte zum Teil für relativ hochwertige Ausstattung sorgen, etwa Holz- und Naturstein in den Treppenhäusern, die sogar ein wenig geräumiger als vorgeschrieben sind.
Als erster Bau Ostdeutschlands erhielt das Katharinum das Zertifikat „LEED-Gold“, ein begehrtes Gütesiegel für nachhaltiges Bauen…
Foto: Thilo Kühne
read full article: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.02.2011 (FAZ-Archiv).