Unterschiedliches Qualitätsverständnis

Christine Edmaier baut modern, Christoph Kohl orientiert sich an Traditionen.
Ein Streitgespräch zum Tag der Architektur, das nicht im Streit endet.

Moderation: Roland Stimpel

Wagen Sie es, in wenigen Worten Ihre Auffassung von richtiger Architektur anzudeuten?

Christine Edmaier: Sie soll kreativ auf die gegebene Si­tuation eingehen, soll sich auf das Wesentliche konzentrieren und das Beliebige weglassen.

Christoph Kohl: Im Vordergrund steht der Mensch – der Nutzer dessen, was Architekten und Städtebauer schaffen. Bei uns als dem Städtebau zugewandten Architekten ist es der Gebrauch des Stadtraumes und der Genuss, den der Mensch dabei empfinden kann, jenseits aller Reduktion auf das Wesentliche.
[…]

Kohl: …Ich bin überzeugt, dass es eine Sehnsucht nach klar definierten Räumen und Grenzen gibt, sogar eine nach mehr Strenge und Führung im Straßenraum. Also nach etwas, das man als Einzelner nicht auf die Beine stellen kann. Die Menschen, die sich für ein Haus in einem von uns entworfenen und gestalteten Projekt entscheiden, betrachten den städtischen Raum als gemeinsamen Nenner. Sie verhalten sich hier sogar förmlicher, zivilisierter, sie entwickeln eine Beziehung zum städtischen Raum, weil sie merken, dass er nicht beliebig gestaltet ist, sondern bewusst. Er lässt gemeinschaftliches Wohlbehagen entstehen. Das ist sogar empirisch feststellbar.

Edmaier: Die Sehnsucht, von der Sie sprechen, ist eine Sehnsucht nach Vergangenem. Es ist für mich traurig, dass sich so wenige Energien auf die Zukunft und ihre Herausforderungen richten. Wir sollten aber versuchen, sie in den Vordergrund zu stellen, zum Beispiel das Thema Zukunftsfähigkeit. Es ist sinnvoller, nach vorn zu gucken als zurück. Gerade wir als Architekten und Ingenieure sind aufgerufen, Zukunft zu gestalten und nicht nur Vergangenheitssehnsüchte zu befriedigen.

Kohl: Wir können Zukunft umso besser bewältigen, je besser unser Leben in der Gegenwart eingerichtet ist. Dazu gehört eine Wohnumgebung, in der man aufgeht. Gerade in die Zukunft gerichtete Menschen schätzen da historische Formen – die höchste Laptopdichte im öffentlichen Raum beobachtet man in Berlin rund um den Hackeschen Markt. Historische Städte sind mit den heutigen Herausforderungen äußerst kompatibel. Wir müssen uns nicht auf die Suche nach nie Dagewesenem machen. Ökologisch wohnen in der traditionellen Stadt – warum denn nicht? …

Fotos: E. J. Ouwerkerk, M. Palarczyk

read full article: Deutsches Architektenblatt, Juni 2008 [dabonline.de].