Gastbeitrag von Christoph Kohl im HABONA-Report 2021

Auch CKSA arbeiten entlang ihrer Stadtquartiere mit am Erfolgsrezept krisenresistenter Immobilien. Den Slogan „Nah und bequem“ teilen wir mit HABONA. Lesen Sie den HABONA REPORT 2021, und dort auf den S. 122/123 den Gastbeitrag von Christoph Kohl.

Konsument – Verbraucher – Bürger … brauchen mehr Handlungsspielräume

Noch immer bin ich von dem vorweihnachtlichen Slogan „Konsum ist Patriotismus“ schockiert. Er offenbart wie sehr der Bürger vom hilfsbereiten Nachbarn und genießerischer Flaneur zum hamsterkäuferischen Konsument degradiert wurde. Nicht seinem Wohlbefinden im öffentlichen Raum gilt die Sorge, sondern dem abgehefteten Kassenbon hinter den Kulissen von Urbanität.

Pandemie als Chance | Die Pandemie bedingte Krise 2020 birgt große Chancen für eine Justierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens – global und lokal. Das sind auch Chancen für den Städtebau. Diese müssen zuallererst von der Politik aufgegriffen werden. Die Agenda hinsichtlich Klimaschutz, Erderwärmung, Artensterben, CO2-Neutralität etc. etc. ist schon seit Jahrzehnten klar. Ich wundere mich nach nunmehr 30 Jahren Praxis immer mehr darüber, inwieweit bei der Erfüllung meiner Pflichten als Planer das Einhalten „allgemein anerkannte Regeln der Technik“, weniger aber der „gesunde Menschenverstand“ eingefordert wird.

Homo agens | Wir müssen uns von der Vorstellung befreien, dass die Fußgängerzone ein urbaner Idealtypus sei und urbanes Leben von stupidem Kommerz in den Erdgeschossen abhängig ist. Das „Handeln“-Wollen des Menschen meint die Möglichkeit zu Agieren. Seit seiner Sesshaftwerdung ist der Homo Sapiens dahingehend auf gebaute Umwelt angewiesen. Der vorauszusetzende Raum, insbesondere die hier angesprochene, für die Lebendigkeit eines Ortes entscheidende Erdgeschosszone ist als definierte quadratmeterbezogene Umsatzrendite zu teuer. Sie steht in keinem Verhältnis zu der GESCHÄFT_igkeit, die sie positiv erzeugen kann.

Die Gründe für eine Monotonisierung liegen nicht weit zurück. Stadttaugliche Kleinteiligkeit ist der Segregation der Funktionen – in der Charta von Athen 1933 propagiert, die heute noch die Regelungen in den Bauordnungen bestimmt – geopfert worden. Die Innenstädte die durch dezentrale Shopping-Malls und Einkaufszentren auf der grünen Wiese kaputt geplant wurden sind Legion. In Konsequenz gibt es nur noch kommerzielle Flächen, die bei Gewinnmaximierung pro Quadratmeter Verkaufsfläche dem Vertrieb von zumeist obsoleten Massenkonsumgütern dienen. Es gibt aktuell eine Chance, diese negative Entwicklung zu durchbrechen.

Handlungs-Spiel-Raum | Was diese Erdgeschosszonen vor allem brauchen, sind HANDLUNG_sräume, BETRIEB_samkeit und UNTERNEHMER_tum. Das sind nicht zwingend Einzelhandelsgeschäfte und Filialisten, sondern Flächen, auf denen möglichst viel Anziehendes passiert. Und diese Flächen sollten für alle erschwinglich sein, die bereit sind, unter ökologischen Gesichtspunkten persönlich etwas zu schaffen, wovon sie gut leben können, ohne dass in erster Linie die sogenannte ortsübliche Miete erwirtschaftet werden muss.

Bonusgeschoss | Der Immobilieneigentümer, den es immer noch geben wird, soll dabei nicht auf seine Rendite verzichten. Er hat ein Anrecht auf ein funktionelles Bauwerk, das die Investition lohnt und auf kreativer Vorstellungskraft des Architekten beruht. Der Clou läge darin, dass die Erdgeschossflächen für 1 symbolischen € pro Referenzeinheit (qm, Monat, geleisteter Dienst, verkauftes Produkt, geschaffenes Kunstwerk, etc.) vermietet und als Bonusvolumen geltend gemacht werden. Wie viele selbstbestimmte, kreative und gesunde Arbeitsplätze könnten darüber wohl generiert werden? Für eine StartUp-Kultur könnte das in einer Gründerzeit 2.0 der Katalysator sein.

Die Stadt braucht den Menschen auf Straßen und Plätzen. Dort passieren die notwendigen Handlungen einer städtischen Zivilgesellschaft. Es ist nicht das Shoppen in den gebauten Hüllen.

Literaturempfehlung: Das Reich kommt, J. G. Ballard, 2019 Diaphanes